Gong (Aus der Sammlung kurzer Texte "Dinge als Kind")
Hörte ich je den Gong?
Er hing im Flur des Hauses meiner
Großmutter, und schon das Wort selbst schlug an.
Ein Gong klingt, schon wenn du
ihn noch gar nicht berührst, er hat schon zum Essen gerufen, es ist schon der
Schlegel geschwungen worden – lange bevor du da warst. Hing da neben der Dame
mit Hut und gefalteten Händen, die einem beim Vorübergehen ansah, gegenüber vom
Bild einer absplitternden Landschaft, unter der etwas anderes zum Vorschein
gelangte, die abbröckelte, etwas enthüllte, eine nächste und wiedernächste
Landschaft, eine Wiese, Berge Hügel Wolken, in denen oder hinter denen etwas
verborgen lag wie in der geheimen Kammer. So nannten wir sie, sie war schon
immer da gewesen, schräg gegenüber der Gong, und wir betraten sie mit
angehaltenem Atem und Ehrfurcht: die Tür öffnest du zunächst nur einen
Spaltbreit.
Mönche, die Großmutter sagte etwas von Mönchen, und der
Gong strahlte Konzentration aus, so klar geschnitten und rund und überzogen von
einem feinen, hellen Leder. Großmutter las über alles, sie verließ nahezu
niemals das Haus, sie reiste in Gedanken, wie die Mönche vielleicht, die, so
erzählte sie es, ihre Leiber hinter sich lassen. Mit Religion hatte sie
allerdings nichts am Hut, und einen solchen trug sie nie, aller Pomp war ihr
fremd. Und nie, so sehr ich darauf wartete, morgens, wenn ich in dem Bett unter
dem Bild mit dem Hirten in einer Wüste lag, oder mittags, oder einmal, als ich
fieberte, oder dann, als ich die Masern bekam, oder später, als ich aus dem
Dachfenster rausrauchte, die gleiche Zigarettenmarke musste es sein wie die
meines Freundes, der ein Motorrad hatte, nie sah ich Oma den Schlegel von der
Wand nehmen. Den Gong an seinem Lederriemen zwischen Daumen und Zeigefinger
halten. Ausholen, mit einem raschen, gezielten und von einem nicht zu weiten
Punkt aus gemachten Schlag in das Herz des Gongs treffen, der so edel und ernst
aussah, oder vielleicht war auch er ein Imitat, und ihn zum Tönen bringen. Und
doch könnte ich schwören, ich erinnere mich an seinen Klang, voll und schwer
und dunkel wie die Kammer, wenn es Abend wurde und wir sie nicht mehr betreten
durften, und vielleicht hatte die Großmutter das Klingen allein, so sage ich es
mir heute, mit der Kraft ihrer Konzentration, ihres Denkens, vermocht.
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