Kartographien -- fiktive Orte
Fiktive Orte:
Carlottas Blumenbeet
Harrys Eisladen in der Steinmanngasse
Ernas Haus
Hinter Fensterhöhlen wie Augen lebte Erna, bis zur Renovierung, und sie kriegte Besuch von uns, wir brachten Baguette, Kippen, weichen Käse, wegen der Zähne. Das Transistorradio quäkte in die Nacht, und dann sang Erna, ihre Stimme war klar und schnitt ins Schwarz.
Lauries Lampenladen
Das Loch
Das Feld
Ortrudfenster
Korea 4
Marburger Haus -- Fidelis-Kugel
Die Fidelis-Kugel vorm Marburger Haus, da fassten die Kinder mit den Fingern in die Ritze, machten eine Umdrehung und warteten auf das Glück, das kommen sollte, sie blinzelten in die Sonne und glaubten, wenn sie die Fäuste ballten, fest genug, würde alles gut.
Schwadeldinger Land
Landgasthof Oberstein
Wo Ida Obersteins Haar regierte, aufgezwirbelt wie die Geweihe der Tiere, die ihr Vater geschossen, ausgeweidet und als Speise angeboten hat, wo der Brunnen tropfte, in den sich der unglücklich in Ida verliebte Rüdi fast einmal gestürzt hätte.
Königsblüter Forst
Im Königsblüter Forst ist schon mancher verschwunden, nicht nur in der Nacht, der es zu weit getrieben oder zu tief hinein, und der Sog der Sumpfpflanzen und das Knacken und Knirschen des Holzes, und so manche Adelige trafen sich da vor und nach der Revolution.
Atelier Schneiderstraße
Bürogebäude, billig zu mieten, lief man immer rum und quatschte, farbverschmiert, und das Licht fiel ein, leuchtete uns an und die Kunst, was scherte uns, wer das kaufte, abends kamen wir auf alten, weichen Sofas zusammen.
Stadlhaus
Übergangsweg
Übergangsweg, so sagen die Jugendlichen, schmaler Pfad, hier Fluß, dahinter hohe Häuser, triffst du dich hier, sei vorsichtig, rutsche nicht aus, manche küssen sich oder die Mauer, sprühen darauf Protest, beim Heimkommen sind die Schuhe matschig.
Donaubad
Das Donaubad liegt nicht an der Donau, ist ein Spaßbad gewesen, mit künstlichen Tropfsteinhöhlen und Wasserfällen in pink, jetzt regieren dort die Bademeister in knappen Neoprenhosen, und Maike verkauft am Kiosk die besten Pommes, würzt sie mit Paprika.
Erinhaus
Erinhaus, jetzt reißen sie dich nieder, der Privatpool hatte das leuchtendste Wasser, einmal sprangen wir vom Dreier, die Mimi, der Toni und moi, danach wochenlang nur Apfelsaft, vom Hügel, auf dem es lag, hattest du die ganze Stadt im Blick.
Manufaktur
Chinesenmanufaktur, im "Volksmund" genannt, drinnen alles zerbrechlich wie wir damals, die schmale Frau hinterm Tresen, du musstest immer was kaufen, einmal erstand Benno den kleinen Sumoringer für die Natascha, und sie verkaufte ihn aus Geldnot, wenig später.
Spiegelweg
Im Spiegelweg war alles doppelt, auch du selbst, wer hättest du wohl sein können, ich ging immer langsam, in der Sonne, ließ mein Gesicht nicht aus dem Aug, und nicht den vorsichtigen Aufgang zum Haus, in dem er damals noch eine Weile wohnte.
Kümmerlesbrück-Fluss
Quer durch den Ort lief der Kümmerlesbrück-Fluss, der immer schmutzig, immer was zu verbergen schien, liefen am Wasser entlang aus dem Dorf, fischten einen Ring raus oder warfen Gedanken hinein, sahen sie wegtreiben, kleiner werden, wie schmelzen, vergehen.
Buckmannstraße
In der Buckmannstr. 2 gabs immer Tee aus feingliedriger Tasse und Blumen im Fenster, die Wolldecke auf dem Bett, beklommen war mir schon, wenn sie ihre langen Finger, mit denen sie früher Klavier gespielt haben musste wie eine Göttin, vor mir knacken ließ.
Herrmanngasse
In der Wohnung Herrmanngasse glänzte es schon von außen. Wir durften sie Karin und Manu nennen, sie probten ihre Stücke im Stadttheater, in das ich mit dem Schüler-Abo ging, manchmal hörten wir sie streiten, und einmal klirrte es, aber das Glas blieb heil.
Pferdepark
Der Pferdepark lag hinter dem Wald. Was sorgten wir uns um die Pferde! Winters wie sommers auf dieser Weide und dann Charlie, der sich wie ein Cowboy gab, immer mit Halstuch, Stiefeln, einmal weinte Charlie, rauchend, hinterm Stall, als der erste Schnee fiel.
Schweigehaus
Britt probierte es mit dem Trommeln, im Garten vom Schweigehaus, diese Hitze, Stunden, sah dann einen Umriss, vielleicht ihr verstorbener Vater, rannte raus aus dem Geäst, ging schwer atmend ins Café Gruber und trank erstmal einen Latte Macchiato mit Rum.
Das Rebell
Direkt an der Straße steht die verlassene Disco "REBELL", unsere Geschwister schwitzten dort, in engen Anzügen, pass auf mit den Drogen im Glas, und wir stellten uns das Zucken des Lichts vor, die dünnen Gestalten, den Rauch, der vor dem Eingang weit nach oben weht, in die Luft.
Jolandes Ententeich
Jolandes Ententeich, es warn immer fünf Enten oder sechs, Jolande hat sie gefüttert, alle hatten Namen, sie saß manchmal mit Rock hochgezogen hinter Halmen und flüsterte pst, schau doch, und ich habe nie was gesehen, ich schwöre, außer Enten, Wasser und Schilf.
Petas Tankstelle
Petas Tanke, Ortsausgang, bekannt für die Chips mit Essig, für Feuerzeuge mit Frauen drauf, und manchmal kamen Künstler vorbei mit Lederjacken, die gar keine Autos hatten, sie spuckten Tabak und starrten in die Weite des Schnees, und immer war noch Licht.
Gigis Brautladen
Gigis Brautladen, Brunnenstraße 7. Gigi hatte alles, schlicht, Rüschen, Prinzessinenheirat, Bling-Bling, wir probierten an oder tranken Kaffee. Aber Gigi blieb einsam, sie hatte kein Glück, manchmal drehte sie sich wie ein kleiner Vogel vorm Spiegel und seufzte.
Chez Gerald
Spital Obermannstraße
Der schwere alte Rudi wurde von drei Damen ins Bassin gehoben, ins Heilbecken, das war im Spital in der Obermannstreet, so sagten wir, er zappelte bisschen wie ein junger Hund, mit Wasser im Auge, und später erzählte er uns vom Krieg, und wir mussten aufpassen.
Großes Kreuz
Büro, Suse 322
Amselstraße
Ida und Lois sind voller Tatendrang.
In der Amselstraße kommt das Glück, messbar in Quadratmetern, der neuen Küche, den stabilen Bodenleisten -- die Landhaus-Kommode passt hier perfekt, sagte Ida, doch Lois dachte an anderes, träumte sich weg.
Brachland
Leo sagte immer, da öffne sich die Welt für ihn.
Altes Brachland, davor die Autostraße, alles war dynamisch vor dem Zaun und dahinter diese Stille, man würde dort, schwor er mir, auf den Horizont zugehen und Wolken berühren können, ich lachte und glaubte kein Wort.
Mathildenstraße
Ja, und der Verkehr, hörst du, du kannst unmöglich dahin ziehen, auch wenn die Mathildenstraße ihre Reize hat, du wirst dort nichts schreiben, nichts, hörst du, nur abends melancholisch den Autos zusehen, wie sie von Osten kommen und rausfahren aus der Stadt.
Schafffnerhaus
Altes Schaffnerhaus, Kindheit, dieses Dreieck als Dach, und Linien, die alles verbinden, blassblauer Himmel, flüchtige Wolken, und Noras Herz aus Stein, so schwer, immer wenn sie ihren Vater zurückließ, auch wenn er noch lange im Eingang stand, in Hosenträgern, lachend, winkend.´
Im "Uschi`s"
Bei Uschi hingen immer drei Rosen, die in Karotten steckten.
So lachten wir, bestellten Suppe im Brot, die darin verborgen schwappte, sahen durch Milchglasscheiben und Uschis Hände, abgewischt an der Schürze, wussten, eines Tages würden wir weg sein von hier.
Krainer-Gebirg
Der Krainer lag direkt vor unsrer Haustür. So schien es. Wenn du ihn besteigen willst, vergiss nicht warme Unterwäsche, sagte die Mutter. Vergiss nicht gutes Schuhwerk.
Immer packte sie für uns, wartete, dass wir loszogen wie ihr Bruder, der nie zurückgekommen war.
Elsbettenschule
Die legendäre Elsbettenschule, dort lasen sie die "rote Zeitung" unter der Bank, die Lehrer trugen Bärte in denen sie was versteckten, einmal Bombenalarm, wir rannten raus, sahen das Gebäude plötzlich von außen: schmucklos, eine kleine, geschlossene Schachtel.
Jakobsmauer
An der Jakobsmauer standen wir, als wir jung waren, der Schnee fiel uns in die Haare, wir kratzten was in die Steine, waren schüchtern, drucksten rum, dort ging der St. Raphaels-Weg ab, ich sah M. zum letzten Mal da abbiegen und im nebligen Weiß einer Frühe verschwinden.
F.
Jeden Winter nach F., der Ort fahl und hell, Mama und Papa küssten sich hinterm Skilift, wir Kinder kauften Süßes im Kramladen, das Hotel lag am Ortsausgang, dort, wo du denkst, die Welt endet, ich sah den Übergang vom Balkon, wo ich abends alleine stand.
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