Zoogeschäft (Aus: Dinge als Kind)

Das Innere des Zoogeschäfts war ein Leuchten, ein Geruch und ein Geheimnis. Von außen sah man nur einige Fische, und auch nur, wenn man sehr nah an die Scheibe herankam, die immer verdreckt war -- Schlieren, die sich im Sonnenlicht abzeichneten --, konnte man dahinter die Fischmäuler erahnen, die sich langsam öffneten und schlossen als hätten sie eine Botschaft. In einer Seitenstraße lag der Zooladen, es war die Gabelung einer ohnehin nicht sehr befahrenen Hauptstraße, eine von zwei mittelgroßen Straßen, die den Ort durchzogen. Die Seitenstraße, in der das Zoogeschäft lag, schloss an der Ecke mit einem Videoshop ab, dessen große Zeit noch kommen würde, und in der Ferne zeichneten sich die Konturen einer Pizza ab, die für eines von zwei Pizzarestaurants am Ort warb. Bis auf den Zooladen gab es in dieser schmalen Straße mit dem unregelmäßigen Trottoir keine Geschäfte noch sonst eine Ablenkung, nur lange Reihen von Wohnhäusern mit alten, müden Gardinen und im Sommer halb geöffneten Fenstern, hinter denen Menschen halb geduckt fernsahen.
Mit großem Mut konnte man in den Zooladen gehen und sich, ohne Kaufabsicht, umsehen.
Verborgene kleine Glöckchen, die vermutlich über der Türe angebracht waren, klingelten, wenn man eintrat. Zunächst war niemand zu sehen. Es roch nach Tieren, nach Fell und nach Streu, dagegen kam der Wassergeruch aus den Aquarien nicht an, es herrschte ein leises aber eindringliches Gekreische und Gezeter wie in einer Gegenwelt, in der sich Menschen zu unterhalten suchen, die ihre Sprache verloren haben und einander nicht mehr verstehen. Zu den Wellensittichen gelangte man über eine kleine Stufe. Auf sie, die Vögel, die aus dem Dschungel Australiens kamen, wie ich gelesen hatte, und die in einem einzigen großen Käfig nebeneinander auf der Stange saßen, die einander treu waren bis ans Lebensende, lief der Laden zu: ihr Grün, Blau und Gelb hinterließ Abdrücke aus Glanz im Raum. Auch wenn ich bisweilen den Hamstern einen Seitenblick zuwarf, die Fische begutachtete – mit einem Aquarium hatten wir vor Jahren kein Glück gehabt, Wasserschnecken hatten sich vermehrt, jeden Tag war die Population angewachsen, bis die Glaswände so schwarz gewesen waren, dass man keinen der Fische mehr sehen konnte und dann hatten wir die letzten Exemplare an die ehemalige Nachbarsfamilie verschenkt, deren Vateroberhaupt sich nicht durch Tierliebe auswies, hatte er doch einmal im Suff das Meerschweinchen die Toilette hinuntergespült, wie man sich erzählte, –, so waren es doch die Vögel, die mich anzogen. Denn sie konnten fliegen. Sie konnten fliegen, sich in die klare Luft erheben, auch an diesem heißen Tag, aber ihr ganzes Dasein war ein einziges Warten, eine Potenzialität. Denn nie würden sie so hoch fliegen dürfen, wie sie es eigentlich von ihrem perfekt dafür eingerichteten Körper her, von ihren Sinnen her, von ihrer ganzen Wellensittichhaftigkeit her, gedurft hätten.
Da ich ein Kind war, herrschte, wenn ich ehrlich war, immer und ausnahmslos, wenn ich den Zooladen betrat, eine Kaufabsicht vor, auch wenn ich viel öfter den Laden betrat als mir erlaubt war, ein Tier mitzunehmen. Denn welches Kind möchte nicht ein Tier sein eigen nennen, ihm übers Fell streichen, für es sorgen, Körner kaufen und einmal, probehalber, selbst zerkauen. Erst wenn man älter wird, weiß man, dass Kinder die Tiere vergessen. Dass sie ihnen zu wenig Futter geben, Käfigtüren nachlässig öffnen oder schließen, zu wenig Auslauf gewähren. Dass ein Tier, einmal in der Hand eines Kindes, leiden wird. Jedoch als Kind ist man überzeugt, dass es eine echte, große, immerwährende Liebe ist, die einen ereilt, die über einen kommt, mit Garantie in einem Zooladen. Dass mein Tier mich so liebt wie ich es liebe, wenn ich es vorsichtig in der Schachtel nach Hause trage, sein Piepsen höre, das Scharren kleiner Krallen, wenn ich ihm gut zurede und versuche, nicht zu schwanken. Ich wählte unter den Wellensittichen immer einen, der freundlich war, lieb, aber schwach, und meistens starben meine Tiere früh. Sie verdrehten die Augen und fielen von der Stange, und ich war so treu wie es ein Kind ungefähr sein kann, ich bettete den kleinen Körper in ein Kissen und zeigte dem Vogel, der nicht mehr fliegen konnte, nochmal die Sonne. Davor hatte ich meine Lieblingssendung im Fernsehen schluchzend zu Ende geschaut. Danach weinte ich zwei Tage lang.
Wie sie hießen: Mickey und Bonny, Hansi und Spatzi, Lara und Timmy. Wer denkt sich als Kind einen originellen Namen für ein Haustier aus? – Das Zoogeschäft war der Anfang, das Paradies, aus dem niemand, nicht Tier, noch Kind, endgültig vertrieben werden kann, der Moment eines Versprechens, wenn ich mit dem Finger hinter die Gitterstäbe zeigen durfte, mit leicht zittriger Stimme: Diesen da. Den hätte ich gern. Der soll meiner sein. Meiner.

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