Traumwandlung
Alles, was man vergessen hat, schreit im Traum um Hilfe.
Elias Canetti
Hahn
Meine Großmutter
steht in einer kleinen Küche, die nach hinten offen ist. Sie trägt eine Schürze
und bereitet Essen zu. Neben ihr auf den Boden ist ein lebendiger Hahn. Es ist
ein recht kleiner Hahn, schüchtern, mit einem übergroßen roten Kamm. Er schaut
mich an, der Hahn, die ich eben zur Küche hereinkomme. Immer wenn Großmutter etwas
illustrieren will, packt sie den Hahn am Hals. Er baumelt dann in ihrer Hand, sie zeigt auf diesen oder jenen seiner Körperteile. Dann stellt sie
den Hahn wieder auf das Küchenbord, wo er geduldig wartet.
Der Hahn ist
nicht für das Essen vorgesehen.
Als meine
Großmutter alles zubereitet hat, packt sie den Hahn und schickt sich an, ihm den Kopf
abzuhacken. Er sei angeblich vom vielen Zeigen „verbraucht“ und zu nichts mehr
nütze.
Nein! schreie
ich.
Na gut, sagt
meine Großmutter.
Vor lauter
Aufregung ist der Hahn, den ich wohl zu packen versucht habe, um ihn zu
retten, hinter den glühend heißen Ofen geraten. Ich
fasse hinter den Ofen, versuche, des Hahnes habhaft zu werden. Der flattert
irre, verbrennt sich, ist eingeklemmt zwischen Wand und Ofen. Immer
wieder versuche ich, ihn herauszuziehen, während er, in seiner Irrheit und in
seinem Flattern, sich immer mehr versengt. Schließlich halte ich ihn doch in
meinem Arm. Er ist ganz zerrupft und verbrannt.
Siehst du, sagt
meine Großmutter, nun müssen wir ihn wohl doch schlachten.
Ja, du hast
Recht, sage ich.
Wieder nimmt sie
ihn, legt ihn auf das Bord, zückt das Beil.
Der Hahn wird
größer und größer, sein roter Kamm schwillt an, er wird ein Mensch, er wird
mein Vater, Sohn meiner Großmutter, mein Vater mit seinem roten Hut, am Hals
hat er schon eine Ritze wie von einem Beil oder Messer, er will um Hilfe
rufen, ich sehe es, aber sein Mund ist ein Schnabel noch, und es kommen nur
gackernde Laute heraus, „nein“ schreie ich an seiner Stelle, als ich das Beil
der Großmutter in der Luft sehe.
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