Wiedergelesen: J´ ai tué ...
„Die Sonne ist den ganzen Tag über den Himmel
gewandert. Ich wollte sie für uns entzweischneiden. Ich hätte dir das größere
Stück überlassen, wie früher bei der Lammschulter.“
Ich habe
Emma S. getötet:
So heißt
das Buch der Autorin Emma Santos, das 1976 in der édition des femmes erschienen
ist und das mit dieser Selbstauslöschung einer obsessiv Liebenden endet: „In
dem Augenblick, als er am 2. Juli 1975 nicht zu der Verabredung beim Psychiater
gekommen ist, habe ich Emma S. getötet, Emma S., die Schriftstellerin, mit
einem vom MANN auferlegten Namen, seinem Namen, literarische und psychiatrische
Frau ...“. Emma S., ein Pseudonym – die Autorin ist tatsächlich ‚tot‘, im Sinne
der Rezeption zumindest: Kaum eine Spur von ihr im Internet, die irgendwann in
den 1940er Jahren geboren, und früh, 1983, gestorben ist. Die Bücher:
vergriffen.
Sicherlich,
vieles, was in „Emma S.“ steht, erinnert an die typischen Merkmale der 1970er
Frauenliteratur: die Frau als die unterdrückte, vom Mann gemachte, vom Mann und
der Gesellschaft als wahnsinnig abgestempelte Andere ... Abtreibung und Gebären
spielen zentrale Rollen, das Ringen um das Schreiben und das Ringen um den
weiblichen Körper – eng verknüpft. Die radikale Innerlichkeit und die
Larmoyanz, der intensive Verweis auf die eigene Autobiographie, das alles
befremdet heute.
Und doch
... Das Buch schildert den Sog des Begehrens mit wenigen Strichen: „Deine
Silhouette wie ein hüpfendes Kind, trotz deiner vierzig Jahre. Deine schmalen
Hüften und Dein starker Penis.“ – Und es entwirft eine poetische Annäherung an
die darunter lauernde Obsession: „Ich verwechselte dich mit der Krabbe, und
mein Körper heulte auf: Dich unter deiner Schale aus Härte platzen zu sehen,
deine Rinde abzuschälen“.
Mich
erinnerten zahlreiche Passagen an Ingeborg Bachmanns Malina ‒ thematisch,
bisweilen sogar sprachlich: Auch in „Emma S.“ geht es um Sprache und Identität,
Wahnsinn und Ausschluss der bürgerlichen Frau. Das Ich des Buchs wird von ihrem
Mann gedemütigt und verlassen, nach ihrer obsessiven Reaktion mit
Elektroschocks gequält, in geschlossene Räume gesperrt, schließlich der
deprimierenden Gleichförmigkeit einer „Tagesklinik“ überlassen, vor deren Toren
Männer darauf warten, die „wahnsinnigen“ Frauen ins Bett zu kriegen: „In den
letzten Tagen im psychiatrischen Zentrum ist es zu heiß und wir schleppen uns
herum wie an den letzten Schultagen vor den großen Ferien. Wir gehen in die
Kneipen. Wir versuchen, uns von den Proletariern im Café einen ausgeben zu
lassen ...“
Die
zeitgenössische Literaturkritik war gespalten, die ZEIT lobte 1978 zwar, dass
„die Geschichte Eindruck“ mache, „weil sie die zerstörerische Dimension von
Liebesbeziehungen durch das Ende begreifen lehrt“, konnte dem Buch ansonsten
aber wenig abgewinnen: „Emma Santos Sprache geht über das Klischee vom neuen, anderen
Schreiben nicht hinaus; sie gerät ihr zu einer nur noch prätentiösen
Unmittelbarkeit der kurzen Sätze, deren anspruchsvolle Simplizität schwer
erträglich ist.“
Diesem
Urteil schließe ich mich nicht an – es ist gerade die Knappheit der Sprache,
die „Unmittelbarkeit der kurzen Sätze“, die das Buch lesenwert macht und die
vielleicht heute sogar besser verstanden, ja, goutiert werden könnte – für die Bühne ist „J`ai tué Emma S.“ zumindest aktuell adaptiert worden. Und es gibt
eine schonungslose Selbstauslieferung von Autorin und Figur zu entdecken, die
der zeitgenössischen Literatur bisweilen fehlt.
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