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"Travel Nerves" (Auswahl Publikumspreis Wiener Werkstattpreis, leicht modifizierte Version, gelesen auf den Freiburger Literaturtagen 2015)


Travel Nerves

 

Sind hierorts Häuser grün, tret ich noch in ein Haus.

Sind hier die Brücken heil, geh ich auf gutem Grund.

Ingeborg Bachmann: Böhmen liegt am Meer

 

In den Gläsern spiegelt sich das Meer. Frauen in Bikinis, Männer in Badehosen blicken zu den Wellen, die im Bild unsichtbar, oder, sage ich zu Nina, vielleicht gar nicht da sind, das Blau öffnet ihre Augen zu etwas hin, lässt ihre Wangen glühen – Reisefieber. Am Ende der Straße ist Nina in einem Lichtkegel stehen geblieben, unter ihr die Stadt in der Mittagshitze, reibt sie sich ihre Schulter: rötliche Striemen auf brauner Haut. Plattenbauten, lange helle Stäbe, unten am Hang, wir müssen jetzt ganz nahe sein.

 

Vor Wochen hat David seine Adresse auf einen Zettel geschrieben. Nina und er hatten sich den ganzen Abend über geküsst, innig und verloren, wie es nur Betrunkene können. Später waren sie verschwunden, und ich blieb zurück, die Hand gegen das kalte Glas einer Bierflasche mit sich auflösendem Etikett gepresst, bis meine Adern hervortraten, während Ninas Puls unter meiner Haut zu pochen schien.


Die Durchsagen am Bahnhof verstanden wir nicht, aber ich erkannte die Melodie, es wechseln die Zeiten. Wir zogen Kaffee aus einem alten Automaten, es schmeckte dünn und süß. Unter der Kuppel legten wir den Kopf in den Nacken, rote Lampen – wie im Bauch eines riesigen Raumschiffes. Gleißendes Licht draußen auf der Reiterstatue. Zwischen Buden mit Wurst und Spielcasinos ein altes Kino, atemlose Drehtüren von Kleiderläden, Flirren aus den Schächten.

 

Er begrüßt uns mit einem Kuss auf die Wange. David arbeitet an einer Sprachschule. Er imitiert das Englisch seiner Schüler, great job, great fun, poorly paid. Teacher, too: Nina lacht, summer vacation: feine Schweißperlen auf ihrer Stirn, ein durchsichtiger Film, wie oft lagen wir nach dem Feiern so verschwitzt im großen Bett über der Bar, die Musik als Vibrieren in den Zehen, und wir sprachen darüber, was wir tun würden, später – in einer Welt, die wir uns offen vorstellten, gewölbt und weit.

 

Meine Reisetasche: ein müdes, zusammensinkendes Tier. Die Fensterscheibe des winzigen Zimmers reflektiert schon das Innere, Matratze. Steinboden. Sommerhut. Bücherbord aus Ziegelsteinen, in dem wenige Bücher verloren hängen: Shakespeare. Vom Hof ein Schlagen, ein Tocken, als riefe jemand um Hilfe. Im Kopf ein Rotieren, Kreisen, als ginge die Fahrt dort weiter.

 

Unter meinen nackten Füßen der Grund ist beige. Schwarze Karos. Springt um: Schachbrettmusterspiele habe ich schon als Kind gespielt, sage ich zu David, der Eis zerstößt, sie ordnen die Welt immer neu. Nina neben David, so eng, dass ihre Schatten über der Anrichte ineinander übergehen. Ninas Reisetasche steht noch in der Küche. Blue Curaçao? Nina dreht sich zu mir um. Er hat gefragt, was du machst, sagt sie, zieht eine Augenbraue in die Höhe. I am a vagabound, sage ich. David lacht. Reicht mir ein Glas, Absinth – changes the world, too.

Im Hof ist der Boden noch warm vom Tag. Dort hinten, sagt David, wohne ein Mädchen, über das es eine Fernsehdokumentation gibt. Sie übe für eine Karriere als Profifußballerin. Man könne das Klong hören, mit dem der Ball an den Pfosten prallt. Nina steht auf und nimmt Davids Hand. Ihr Gesicht ist kleiner als sonst, als hätte es sich unter den hohen Temperaturen zusammengezogen.

„Kommst du mit?“ fragt Nina.

„Ich warte auf das Mädchen.“

Den Rücken an die Wand gepresst, kommen mir selbst die Steine glitschig vor, vielleicht ist es mein Schweiß, was passiert, wenn der Mörtel sich löste unter der Hitze, ob das Haus, die alte Villa, in sich zusammensinken würde, ich stelle sie mir weich vor, wie meine Reisetasche, ich sitze noch da, die beiden sind längst im dunklen Inneren des Hauses, das sich nicht rührt.

 

Als David am nächsten Tag zur Arbeit geht, fahren Nina und ich an den See. Ich wage nicht zu tauchen im grünlichen Wasser, ich liege auf dem Rücken und lasse mich treiben. Der Himmel ist milchfarben. Kinder bespritzen sich mit Wasser. Ihr Lachen und ihre Rufe klingen wie aus weiter Ferne. Am Ufer werden Würstchen gegrillt. Eine alte Frau, die Eintrittskarten ausgibt, kleine bunte Zettel, sitzt auf einem gestreiften Klappstuhl, beinahe regungslos. Am Grill stehen Männer, deren Bäuche weit hinausragen über die Badehosen. Von Ferne das Klackern von Maschinen. Der See liegt in einem Industriegebiet.

Nina liegt am Ufer, seitlich, die Knie hochgezogen, still. Wie sie sich auszieht: langsam, sicher, als entstünde die Welt um sie herum in diesem Augenblick neu. Ich nehme das Buch in die Hand, das sandig ist, ein Reiseführer, und Nina blinzelt, sieht sich um, „lass uns gehen“.  

 

David zeigt mir die Stadt: die Sonnenuhr, das Denkmal für den unglücklichen Dichter, der auf den Schultern eines Mannes ohne Gesicht sitzt. Eine Niemandswelt am Flussufer – T-Shirts mit Witzen auf englisch und billige Uhren. Hinter den glänzenden Waben des Nationaltheaters versteckt er sich. Die Sonne strahlt sein Gesicht halb an, halb verdeckt sie es, Schatten unter seinen Augen, er lächelt in meine Richtung, wir laufen in das Gewirr der Gassen der Altstadt, trinken Schokolade im Café, das nur Einheimische besuchen: Innen hängt ein Küstenbild mit Booten. „Die Leute hier haben Sehnsucht nach dem Meer“, sagt er.


Im abgedunkelten Zimmer sieht Ninas Gesicht anders aus, verwischt. Sie hat den Tag im Bett verbracht: Sunstroke. „Alles gut mit David“, sagt sie, doch ich sehe, dass ihre Stirn sich runzelt dabei, ich trete ans Bett und lege Nina wie früher, wenn sie fieberte, eine Hand auf die Stirn.

„Lass mal“, sagt Nina.

Von draußen das Klong, Aufprallen eines Balls an einen Pfosten.

 

Als schwebe man. Als würde man auf Wasser fahren: Wir sitzen in der Straßenbahn im Morgennebel, den Job hat David vermittelt – Bücher verladen. Nina zog eine Augenbraue in die Höhe, doch sie kam mit.

Die Arbeiter verstehen nicht. Ein Junge lacht, wir wollen was? Innen ist es staubig: überall eingeschweißte Bücher. Etwas wie „Land ohne Küste“, „träumen“ und „Stadt“. Ich fahre über das straff gezogene Plastik und frage mich, ob die Bücher darunter genügend Luft bekommen, wie sieht eine Stadt aus, die träumt, ob sie die Augen zuhat, ich werde David fragen.. Ein schmächtiger Mann mit Zopf lächelt mich an, wenn ich ihm die Bücher aus dem Laster reiche. Er bringt mir Worte bei: ich, gut. Ein Wort, das wie „Stuhl“ klingt, meint aber „Tisch“. Dass der Stadtteil Troja heißt, er lacht, ja, die Stadt der Antike, das kann sein, sie wurde zerstört sage ich, vielleicht gibt es auch hier einen verborgenen Hafen. Ich sehne mich nach Wind. Schon jetzt, um die Mittagszeit, ist es heiß, Umgrenzungen lösen sich auf: der Schuppen, die vormals klare Linie zum Himmel, ich muss mich an der Hauswand abstützen, Ameisen formen Straßen entlang der Betonnaht, einige fliegen. Als ich die nächste Runde Bücher schiebe, die Sackkarre stolpert und die Sonne zielt direkt auf mich, sehe ich Nina auf dem Boden sitzen.

„Ich gehe.“

„Aber wir sind noch nicht fertig.“

Nina steht auf und sieht mich ernst an.

„Wenn du glaubst, dass dich das weiterbringt.“

Ich sehe sie die Straße entlang laufen, ihr Haar klebt noch am Kopf, ihre Schritte klacken auf dem breiigen dunklen Asphalt.

 

Dobře. Du wirst heimisch. David hat den Tisch gedeckt – Probe bestanden, sagt er, auf dem Küchenbord schimmert es blau. Wo ist Nina? Ninas Tasche steht wieder in der Küche. Von ihr keine Spur. Die Nerven verloren bei der Arbeit, will ich zu David sagen, mein ganzer Körper ist von einer Schicht Staub überzogen, alles pulsiert, verschwitzt, jetzt, nach der Anstrengung des Tages leichter werdend, David zieht mich zu sich, ich habe klebrige Finger, Ocean Spray.

 

Ich erwache vom Pochen des Regens auf dem Fenster: Von hier aus erahnt man das Schimmern der Dächer der Stadt hinter den Regenfäden. David liegt neben mir, ich drehe mich hin zu ihm: ein Flackern unter seinen Lidern. In der Küche scheint es zu rumoren. Das Schachbrett zeigt Schwarz, beige Quadrate, Blitze aus Kälte unter meinen Füßen. Die Tasche ist weg.


Die Leute, sagt er, hätten sich so viel erhofft: Europa. Ich streiche ihm das Haar aus dem Gesicht, es kommt mir vor, als sei es gewachsen seit unserer Ankunft, ich denke an Ninas kräftige Haare, „ich mache mir Sorgen“, sage ich, aber David schüttelt den Kopf. Ich solle ihn nicht verlassen. Never. „Ja“, sage ich, in den Hof hinein, gegen das Klock, und mir fällt ein, dass das Wort, das hier „ja“ meint, wie „nein“ auf französisch klingt.

 

Sie stellt ihre Tasche ohne Schwung in die Küche und setzt sich zu uns an den Tisch. Wo sie gewesen ist, frage ich. Nina sitzt da, die Beine zusammengepresst. Über den Tisch zeigt sie Fotos, Miniaturen auf der Digitalkamera: der Fluss, Bäume, grüne Tischdecken: dunkles Leuchten von Beeren.

Als sie aufsteht, trete ich dicht hinter sie. Ich spüre den Schwung ihres Rückens, feste Zartheit, ich bin versucht, sie von hinten zu umfassen, etwas zu sagen wie: Wir beide können hier zuhause sein, sie lehnt sich einen Moment an mich, kleines Beben, ein Schluchzen vielleicht, dann abebbend: „Ich gehe schlafen.“ Als Nina gegangen ist, steht David auf und streicht mir das Haar aus meiner gefurchten Stirn. Er hat mir gesagt, dass er von Anfang an mich im Blick hatte. Ja, fällt mir ein, und dann, dass das Wort hier ich bedeutet.


Der Geruch nach Salzwasser hängt in der Küche: Davids Mitbewohner sind zurück, sie drehen Musik auf in der Küche, sie mixen sich Drinks und zwinkern mir zu: David ist ein … Jan sucht das Wort auf englisch, Story Teller. Er tanzt mit Nina, sie strahlt wieder, für sie ist das hier nur ein Urlaub, Unterbrechung zwischen Arbeitstagen, unbestimmte Zeit vor einer Rückkehr an einen Ort, den sie zuhause nennt: den länglichen Balkon mit der Südsonne, mit Minze und Orchideen, Altbauzimmer mit Stuckornamenten, kürzlich renoviert. Was uns gefalle, hier, fragt Jan uns, und ich sage, dass ich die Sonne mag, die auf die gelben Mauern fällt, und dann sage ich: „I feel a little bit at home already“, ich sehe Davids Blick, Nina schaut Jan an und sagt: „Ida lives with me, she has lost her job.“ Sie nimmt Jan an der Hand und läuft mit ihm, schwungvoll, Hüfte an Hüfte, in das Nachtblau. Als sie spät wiederkommen, sind sie nass vom einsetzenden Regen. Nina schaut mich noch immer kaum an, aber im Vorbeigehen flüstert sie: „Es gibt kein Mädchen, das Fußball spielt.“

 

Morgens ist es still, die Luft klar nach dem Regen, und Sonnenlicht streift die Mauern. Die Gegend, in der David wohnt, liegt in Hanglange, man erreicht sie mit der U-Bahn, mit der Trambahn, mit dem Bus, und dann läuft man ein Stück an einem Schlösschen vorbei, bis die Straßen schäbiger werden. Wenn man den Atem anhält, wenn man die Augen zukneift, kann man sich das Blau des Himmels mit seinen schwimmenden Wolken als Wasser vorstellen.

Ich bin dem Geräusch gefolgt, dem Klong-Klong, ich wollte das Mädchen sehen, das kein Zuhause hat, was wollte ich mit ihr, wie hätte ich ihr helfen können, und als ich nach oben sah, war da ein loses Regenrohr, das, wenn der Wind ging, an das Dach eines Hauses schlug. Es musste einmal ein Laden gewesen sein, vielleicht in Zeiten des Booms, den fiebrigen Tagen nach der Revolution, von denen Jan uns erzählte, als die Welt aus Türen bestand, A World of Open Doors: Nun waren die Scheiben zersplittert. Leere Regale. Davids Gesicht Stunden zuvor, beim Abschied: Wie ich auf seine Frage, warum ich nicht noch bliebe, wohin ich denn wolle, ich sei doch, sagte er und berührte mein Haar, eine Vagabundin, wie ich sagte: Travel Nerves.


Ich werde einen Zug ans Meer nehmen. Die Menschen hier sehnen sich danach, wollte ich noch zu David sagen, weil man sich immer das wünscht, was man nicht hat. Vielleicht kommst du ja nach, habe ich zu Nina gesagt. Ich vermisse ihr Lächeln, bei dem sich ihre Nase kräuselt – wie Gischt -, ihre unbeirrte, nie verschwitzte Hand. Die Reisetasche verändert ihre Form, während ich gehe, sie scheuert an der Schulter, ich trete in einen Lichtkegel, ich suche eine heile Brücke, ein Wort oder Meer.

 






Orangenfarmer

Vom Wohnzimmer aus werdet ihr auf den Orangenhain sehen. Ihr werdet dort sitzen, wenn Regen fällt. Wenn es heiß wird. Manche mit angezogenen Beinen. Leise sprechen werdet ihr, mit angehaltenem Atem. Zeit ist keine Zeit: aus dem Zusammenhang gefallene Stunden.
So spricht der Farmer zu uns, und immer ist das Mädchen an seiner Seite. Orangenfarmer, so nennt mein Bruder den in fließende Gewänder mit Schlangemuster gekleideten Mann, dessen wettergegerbtes Gesicht seine Geschichten zu beglaubigen scheint. Klar stehen sie vor uns, wie die Adern an seinen Armen, zeichnen sich ab in der Dunkelheit der Gänge und noch vor den helleren Fenstern, wo es immer nach Zimt riecht, nach Ferne und nach dem Traum vom Orangenhain, den wir alle teilen.

Auszug aus: Birgit Hofmann: Orangenfarmer, in: Von Aprikosen und Angsthasen. Ausgewählte Stipendiatentexte, hrsg. von Astrid Braun für den Förderkreis deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg, Bretten 2016, S. 91-100.



Nicht mehr leuchten

Im Auge jedes Menschen ist ein Leuchten. Durch die Pupille fällt Licht in das Innere, und dort, mitten im Auge, beginnt die Verwandlung. Aber Mamas Augen waren in dem milden Licht fast nicht zu erkennen, Vaters erst recht nicht. Mama war nur da, im Keller, um das Altglas wegzubringen. Ich drücke auf den Knopf der Spraydose, das Raumspray hat Vater einmal billig gekriegt, im Sonderangebot die ganze Palette, und wie stolz er immer war,
wenn er die großen Packungen anschleppte, und wie er vorrechnete, was er gespart hatte dabei, und er hätte nicht gedacht, bestimmt nicht, dass das einmal über ihn gesprüht werden muss. Muss es aber. Es soll ja nicht stinken hier im Haus. Es soll an mir insbesondere auch kein Gestank kleben bleiben, denn ich muss demnächst los.

Sie sind in Urlaub, habe ich Oma gesagt, die Apfelkuchen brachte, und sie:
Seit wann die Eltern denn in den Urlaub fahren würden. Wo sie doch immer
kein Geld hätten. Fast hätte ich da laut gelacht, denn auf so was kommst du
ja nicht, Oma. Als sie weg war, mit ihrem misstrauischen Schauen, die Oma,
habe ich das Auto geputzt. Mit dem bin ich zum Studium gefahren, und ich
hatte eine Aktentasche in braunem Leder dabei, die aussah wie von einem
Großvater geerbt. Früh bin ich los, weil die Universität in der Stadt lag, ein
altes Gebäude aus schwerem Stein, davor die Philosophen, und wie sie dich
anschauten mit steinernem, strengen Blick, und wie ich hereinkam, als erster,
immer als erster, da saß noch keiner auf seinem Platz, so früh war es,
vielleicht noch neblig, und dann die Studenten, die kamen, die kniffen die
Augen zusammen vor Müdigkeit, wie junge Hunde.

Auszug aus: Birgit Hofmann: Nicht mehr leuchten, in: entwürfe. Zeitschrift für Literatur, 68, 4/2011)


Barbiere

Wenn er wiederkam, roch er billig.
Sie haben kein Geld, sagte er, für Rasierschaum. Benutzt wird Seife. Er strich über sein glattes Kinn. Manchmal, sagte er, greifen sich die Wachleute irgendeinen. Wer aber mit Schneiden beschäftigt ist, oder mit Rasieren, den lassen sie in Ruhe. Weil er dann nütze ist zu etwas.
Aber: es ist doch mehr als das, fragte ich.

Die Häuser sahen wie ausgerenkt aus: verdrehte Knie, aus ihren Scheiben gesprungen.
Sam hatte einen Zettel gezeichnet, auf dem alles verbunden war, ein Gewimmel von Linien. Der Süden der Stadt, hatte er gesagt. Und: Er ist ihnen nicht zugeteilt worden, sie mußten sich einnisten dort.
Es war noch nicht Nacht. Abend vielleicht. Um die Ecken bogen Uniformierte. Ab und zu entfernten sie eines der Pappschilder, die den Rand der Straße reihten und alles anboten: Eine Nacht, einen Haarschnitt, ganz preiswert, billig,  fast umsonst.
Sam, inmitten. Von Ferne schon unterscheidbar. Er begrüßte mich mit einem Kopfnicken. Das ist mein Haupt-Barbier, sagte er. Sagte er zum Mann, der sich nicht in Verbindung stellen ließ zum Namen, den Sam für ihn gewählt hatte. Kein Haus, fragte ich. Der Haupt-Barbier schüttelte sein flattriges, dünnes Haar. Eine Frau in langen, grauen Strümpfen legte ihren Arm schlingenförmig um Sams Körper, der immer weiß, was zu tun ist. Sie wolle es, sagte sie, auf die Schnelle, einmal ums Haus und zurück. Sie trat von einem Fuß auf den andren, unter dem Blick des Wachmannes, der, gedehnt, fast schläfrig vorbeiging. Sie sagte, mit störrischer Stimme: Der eben, das war ein schlimmer. Schlimmer als viele. Und, mir zugewandt: Das weißt du, dass sie uns weggefahren haben aus den Einkaufszentren und den Haupstraßen, und auch weg von den Marktplätzen aus Altstadtstein. Aber jetzt kommen sie auch hierher, wo eigentlich keiner sein will, zur Sicherheit. Zu unsrer und der aller anderen. Das sagen sie.
Ja, schon gut, sagte ich. 

Auszug aus: Birgit Hofmann: Barbiere, in: Stiftung Preußische Seehandlung u. a. (Hrsg.): Open Mike. Die 24 Besten des siebten Berliner Literaturwettbewerbs, München 2001.

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