Kartographien -- fiktive Orte

Fiktive Orte: 


Die Goldtür Was ging hinter der Goldtür vor? Wir blieben im Treppenhaus stehen, lauschten. Ein Flüstern, Ruf, Stille. Manchmal steckte die Frau mit Staubfrisur den Kopf raus. Bot Birnen an. Wir nahmen sie, rannten dann, unten atemlos, der Tag war so golden wie die Tür.






Sashas Zimmer

Wars das Dunkle, die Blumen, oder war es, weil wir alle verliebt warn in Sasha? Wir betraten die Wohnung auf Zehenspitzen. Tranken nie mehr als zwei Wein. Lauschten dem Wasser, der Straße und sprachen so leis als seien wir selbst Pflanzen,                                                                                     Gespenster.



Didos Snackbar

Lag am Ortsausgang, darin lauter Automaten. Konntest noch um zwei eine Wurst ziehen, Chips, oder Unklares, nie gegessen. Bibo und Claas hingen oft dort rum, es gab auch eine alte Jukebox, sie spielte, wenn man dagegentrat, "born in Japan". Oder so.



Carlottas Blumenbeet

Carlotta düngte die Blumen mit Weißwein, "das mögen sie", kicherte sie, lud uns ein, wir harkten zwischen den Beeten, kriegten Waffeln, Carlotta trug immer kurze Hosen, Hemden, einen Abenteurerhut, "aus meiner Zeit im Dschungel", sagte sie.







Harrys Eisladen in der Steinmanngasse


Es gab nur drei Sorten, Zitrone, Schoko, Vanille, an Feiertagen Erdbeer. Harry tat immer als sei er Italiener. Er hatte einen Vollbart und drehte Zigaretten aus gebrauchtem Tabak. Das Eis roch so immer nach Rauch und Freiheit.


Ernas Haus

Hinter Fensterhöhlen wie Augen lebte Erna, bis zur Renovierung, und sie kriegte Besuch von uns, wir brachten Baguette, Kippen, weichen Käse, wegen der Zähne. Das Transistorradio quäkte in die Nacht, und dann sang Erna, ihre Stimme war klar und schnitt ins Schwarz.



Lauries Lampenladen

Alles leuchtete, sie selbst auch. Alles dehnte sich im Licht, über sich selbst hinaus, wer wollte da einfach nur Batterien kaufen, Bruno liebte den Laden, liebte Laurie, seine bauchige Lampe brachte er hin, die mit dem immerzerbrochenen Schirm.


Das Loch

Jeder kannte das Loch im Ederweg. Jemand hat es ihm Wahn hineingebrannt, sagte man, Aliens mit ihrem Atem vielleicht. Rob platzierte darin das Blatt für Achim, hoffte, Achims Hand würde reinpassen, hoffte, Achim würde es mit Sorgfalt entfalten, klopfenden Herzens.


Das Feld

Nannten sies nur, jeder wusste wo, Weg zwischen der Party im Wald und der Stadt, strichen herum, über die Halme, im Wind, bei Sonne legten sie sich hin, schauten in die Wolken, das Wogen der Pflanzen ergab Worte, war sich Karin sicher, und Karim auch.


Ortrudfenster

Vom Ortrudfenster aus sieht alles orange aus, vielleicht, weil die Welt so ist, vielleicht liegts am Glas. Ewig sitzen sie da und starren, Oli, Ana, Mick, auf einzelne Autos, glänzend, in der Sonne, auf die alte Fabrik in der Ferne, die Sensation dürrer Bäume.


Korea 4

In der Korea 4 warn alle zuhaus: Besetzer, Flechter, Zugewanderte. Tranken Tee im lichten Hof, süß, Gerüche: Apfel, Honig, Leder. Gerüchte: wer mit wem und wie das Leben. Später wohnten sie zur Miete, nur Susi ist noch da, flüstert dir was zu, du verstehst sie kaum.



Marburger Haus -- Fidelis-Kugel

Die Fidelis-Kugel vorm Marburger Haus, da fassten die Kinder mit den Fingern in die Ritze, machten eine Umdrehung und warteten auf das Glück, das kommen sollte, sie blinzelten in die Sonne und glaubten, wenn sie die Fäuste ballten, fest genug, würde alles gut.




Schwadeldinger Land

Das Schwadeldinger Land war unser Wilder Westen. "Was kommt dahinter?" fragte die Vroni, die Sehnsucht hatte, und Beppo sagte: "Wenn du immer gehst, dann kommst du hin, aber schau nie zurück." Vroni fiel alles schwer, tagsüber senkte sich die Müdigkeit in sie.


Landgasthof Oberstein

Wo Ida Obersteins Haar regierte, aufgezwirbelt wie die Geweihe der Tiere, die ihr Vater geschossen, ausgeweidet und als Speise angeboten hat, wo der Brunnen tropfte, in den sich der unglücklich in Ida verliebte Rüdi fast einmal gestürzt hätte.


Königsblüter Forst

Im Königsblüter Forst ist schon mancher verschwunden, nicht nur in der Nacht, der es zu weit getrieben oder zu tief hinein, und der Sog der Sumpfpflanzen und das Knacken und Knirschen des Holzes, und so manche Adelige trafen sich da vor und nach der Revolution.





Atelier Schneiderstraße

Bürogebäude, billig zu mieten, lief man immer rum und quatschte, farbverschmiert, und das Licht fiel ein, leuchtete uns an und die Kunst, was scherte uns, wer das kaufte, abends kamen wir auf alten, weichen Sofas zusammen.


Stadlhaus




Das Stadlhaus, einmal Utopie, zu viel Beton, zerkratzte Fahrstühle. Wäschespinnen im Hof recken sich zur Sonne. Kinder mit langen Fransen spielen dort, die zerdrückten Konservendosen hinter den Büschen sind ihr Schatz, glänzen wie die Panzer seltener Insekten.



Übergangsweg

Übergangsweg, so sagen die Jugendlichen, schmaler Pfad, hier Fluß, dahinter hohe Häuser, triffst du dich hier, sei vorsichtig, rutsche nicht aus, manche küssen sich oder die Mauer, sprühen darauf Protest, beim Heimkommen sind die Schuhe matschig.



Donaubad

Das Donaubad liegt nicht an der Donau, ist ein Spaßbad gewesen, mit künstlichen Tropfsteinhöhlen und Wasserfällen in pink, jetzt regieren dort die Bademeister in knappen Neoprenhosen, und Maike verkauft am Kiosk die besten Pommes, würzt sie mit Paprika.


Erinhaus

Erinhaus, jetzt reißen sie dich nieder, der Privatpool hatte das leuchtendste Wasser, einmal sprangen wir vom Dreier, die Mimi, der Toni und moi, danach wochenlang nur Apfelsaft, vom Hügel, auf dem es lag, hattest du die ganze Stadt im Blick.



Manufaktur

Chinesenmanufaktur, im "Volksmund" genannt, drinnen alles zerbrechlich wie wir damals, die schmale Frau hinterm Tresen, du musstest immer was kaufen, einmal erstand Benno den kleinen Sumoringer für die Natascha, und sie verkaufte ihn aus Geldnot, wenig später.



Spiegelweg

Im Spiegelweg war alles doppelt, auch du selbst, wer hättest du wohl sein können, ich ging immer langsam, in der Sonne, ließ mein Gesicht nicht aus dem Aug, und nicht den vorsichtigen Aufgang zum Haus, in dem er damals noch eine Weile wohnte.


Kümmerlesbrück-Fluss

Quer durch den Ort lief der Kümmerlesbrück-Fluss, der immer schmutzig, immer was zu verbergen schien, liefen am Wasser entlang aus dem Dorf, fischten einen Ring raus oder warfen Gedanken hinein, sahen sie wegtreiben, kleiner werden, wie schmelzen, vergehen.


Buckmannstraße

In der Buckmannstr. 2 gabs immer Tee aus feingliedriger Tasse und Blumen im Fenster, die Wolldecke auf dem Bett, beklommen war mir schon, wenn sie ihre langen Finger, mit denen sie früher Klavier gespielt haben musste wie eine Göttin, vor mir knacken ließ.


Herrmanngasse

In der Wohnung Herrmanngasse glänzte es schon von außen. Wir durften sie Karin und Manu nennen, sie probten ihre Stücke im Stadttheater, in das ich mit dem Schüler-Abo ging, manchmal hörten wir sie streiten, und einmal klirrte es, aber das Glas blieb heil.


Pferdepark

Der Pferdepark lag hinter dem Wald. Was sorgten wir uns um die Pferde! Winters wie sommers auf dieser Weide und dann Charlie, der sich wie ein Cowboy gab, immer mit Halstuch, Stiefeln, einmal weinte Charlie, rauchend, hinterm Stall, als der erste Schnee fiel.


Schweigehaus

Britt probierte es mit dem Trommeln, im Garten vom Schweigehaus, diese Hitze, Stunden, sah dann einen Umriss, vielleicht ihr verstorbener Vater, rannte raus aus dem Geäst, ging schwer atmend ins Café Gruber und trank erstmal einen Latte Macchiato mit Rum.





Das Rebell


Direkt an der Straße steht die verlassene Disco "REBELL", unsere Geschwister schwitzten dort, in engen Anzügen, pass auf mit den Drogen im Glas, und wir stellten uns das Zucken des Lichts vor, die dünnen Gestalten, den Rauch, der vor dem Eingang weit nach oben weht, in die Luft.




Jolandes Ententeich

Jolandes Ententeich, es warn immer fünf Enten oder sechs, Jolande hat sie gefüttert, alle hatten Namen, sie saß manchmal mit Rock hochgezogen hinter Halmen und flüsterte pst, schau doch, und ich habe nie was gesehen, ich schwöre, außer Enten, Wasser und Schilf.


Petas Tankstelle

Petas Tanke, Ortsausgang, bekannt für die Chips mit Essig, für Feuerzeuge mit Frauen drauf, und manchmal kamen Künstler vorbei mit Lederjacken, die gar keine Autos hatten, sie spuckten Tabak und starrten in die Weite des Schnees, und immer war noch Licht.



Gigis Brautladen

Gigis Brautladen, Brunnenstraße 7. Gigi hatte alles, schlicht, Rüschen, Prinzessinenheirat, Bling-Bling, wir probierten an oder tranken Kaffee. Aber Gigi blieb einsam, sie hatte kein Glück, manchmal drehte sie sich wie ein kleiner Vogel vorm Spiegel und seufzte.



Chez Gerald


Geralds Haus in den Weinbergen, da waren wir oft zur Ernte im Sommer, wir lasen aus, verliebten uns, kriegten Blasen, tranken Rotwein, und Gerald erzählte vom Kommunismus, den er sich vorstellte wie wir uns "Gott in Frankreich".





Spital Obermannstraße

Der schwere alte Rudi wurde von drei Damen ins Bassin gehoben, ins Heilbecken, das war im Spital in der Obermannstreet, so sagten wir, er zappelte bisschen wie ein junger Hund, mit Wasser im Auge, und später erzählte er uns vom Krieg, und wir mussten aufpassen.


Großes Kreuz


Zum Großen Kreuz ging die Oma von der Maja, und die vom Mark und meine auch. Sie schleppten sich, atmeten schwer wie junge Mädchen vor dem Fest, fielen auf die Knie, bekreuzigten sich, gingen, aus Sicht der Statue sahen sie klein aus und leicht.





Büro, Suse 322


H. hat sich verirrt im Haus mit den Treppen, der Suse 322, er könne nicht bleiben im Büro da, bekäme Beklemmungen, wie sie alle stürmten mit den Aktentaschen, fast wie in einer Kampfzone, er drücke sich dann an die Wand, die sei ganz kühl, und warte, atme.




Amselstraße

Ida und Lois sind voller Tatendrang.

In der Amselstraße kommt das Glück, messbar in Quadratmetern, der neuen Küche, den stabilen Bodenleisten -- die Landhaus-Kommode passt hier perfekt, sagte Ida, doch Lois dachte an anderes, träumte sich weg.




Brachland

Leo sagte immer, da öffne sich die Welt für ihn.

Altes Brachland, davor die Autostraße, alles war dynamisch vor dem Zaun und dahinter diese Stille, man würde dort, schwor er mir, auf den Horizont zugehen und Wolken berühren können, ich lachte und glaubte kein Wort.



Mathildenstraße

Ja, und der Verkehr, hörst du, du kannst unmöglich dahin ziehen, auch wenn die Mathildenstraße ihre Reize hat, du wirst dort nichts schreiben, nichts, hörst du, nur abends melancholisch den Autos zusehen, wie sie von Osten kommen und rausfahren aus der Stadt.




Schafffnerhaus

Altes Schaffnerhaus, Kindheit, dieses Dreieck als Dach, und Linien, die alles verbinden, blassblauer Himmel, flüchtige Wolken, und Noras Herz aus Stein, so schwer, immer wenn sie ihren Vater zurückließ, auch wenn er noch lange im Eingang stand, in Hosenträgern, lachend, winkend.´

Im "Uschi`s"

Bei Uschi hingen immer drei Rosen, die in Karotten steckten.

So lachten wir, bestellten Suppe im Brot, die darin verborgen schwappte, sahen durch Milchglasscheiben und Uschis Hände, abgewischt an der Schürze, wussten, eines Tages würden wir weg sein von hier.





Krainer-Gebirg

Der Krainer lag direkt vor unsrer Haustür. So schien es. Wenn du ihn besteigen willst, vergiss nicht warme Unterwäsche, sagte die Mutter. Vergiss nicht gutes Schuhwerk.

Immer packte sie für uns, wartete, dass wir loszogen wie ihr Bruder, der nie zurückgekommen war.






Elsbettenschule

Die legendäre Elsbettenschule, dort lasen sie die "rote Zeitung" unter der Bank, die Lehrer trugen Bärte in denen sie was versteckten, einmal Bombenalarm, wir rannten raus, sahen das Gebäude plötzlich von außen: schmucklos, eine kleine, geschlossene Schachtel.







Jakobsmauer

An der Jakobsmauer standen wir, als wir jung waren, der Schnee fiel uns in die Haare, wir kratzten was in die Steine, waren schüchtern, drucksten rum, dort ging der St. Raphaels-Weg ab, ich sah M. zum letzten Mal da abbiegen und im nebligen Weiß einer Frühe verschwinden.












F.

Jeden Winter nach F., der Ort fahl und hell, Mama und Papa küssten sich hinterm Skilift, wir Kinder kauften Süßes im Kramladen, das Hotel lag am Ortsausgang, dort, wo du denkst, die Welt endet, ich sah den Übergang vom Balkon, wo ich abends alleine stand.


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